Widerstand ist die Hölle.
Eine Einladung zum Nachdenken über eine Hypothese.
- Was wäre wohl in unserem Alltag anders, wenn auf irgendeine Weise aller ‚Widerstand’ einfach so wegfallen würde?
- Und, woran würden wir denn als Erstes erkennen, dass sich der ‚Widerstand’ aufgelöst hat?
- Wann käme ich persönlich auf die Idee, in mir selbst nachzuforschen, ob sich dort noch irgendwo ‚Widerstand’ regt?
- Ob wir wohl die Welt als langweilig und öde erlebten? Und worüber würden wir dann sprechen in den Kaffeepausen, auf dem Flur? Welche Themen würden mehr Raum bekommen?
Noch sind wir wohl nicht ganz so weit, sonst würde dieser Artikel ja auch keine Leserinnen und Leser finden.
Setzen wir also folgende Hypothese an den Anfang:
«Es gibt keinen Widerstand.
Es gibt nur mehr oder weniger hilfreiche Signale, dass nicht genügend Voraussetzungen erfüllt sind, um eine Kooperation einzugehen oder andere Sichtweisen/Positionen zuzulassen.»[1]
Die Hypothese basiert darauf, dass das, was wir im Alltag mit ‚Widerstand’ beschreiben, eine subjektive Wertung einer Wahrnehmung ist. Der Ausgangspunkt dafür ist eine verbale oder nonverbale Botschaft, die wertneutral im Raum steht. Erst unsere Gedanken über diese Botschaft lösen je nachdem Irritation, Ärger, Wut, Frustration, Verzweiflung, … aus. Für die Intensität der Reaktion sind verschiedene Faktoren mitbestimmend, unter anderem können ähnliche, früher erlebte Situationen anklingen, oder implizite Verhaltensnormen, eigenes Hierarchiedenken beziehungsweise bereits bestehender Druck aus anderen Lebensbereichen werden lebendig und wirksam. Das ‚Nein’ eines Mitmenschen kann der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, ohne dass dieses ‚Nein’ isoliert betrachtet diese Macht inne haben kann. Vielfach verläuft eine Reaktionssequenz auf ‚Widerstand’ reflexartig und atemberaubend schnell ab. Die aktuelle Hirnforschung bietet die entlastende Erkenntnis an, dass unsere Reaktion bereits fest steht, bevor ein bewusster Denkprozess die Chance eröffnet, dem Kontext entsprechend eine passende Reaktion zu wählen[2].
Ansätze für einen konstruktiven Umgang mit «Widerstand»
Ich weiss erst, was ich gesagt habe, wenn ich weiss, was du verstanden hast. Paul Watzlawik
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Die konkrete Umsetzung dieser pointierten Aussage von Paul Watzlawik bringt eine hilfreiche Verlangsamung in den Kommunikationsprozess – erst wenn ich aktiv überprüft habe, ob das, was ich verstanden habe, auch das ist, was kommunikativ beabsichtigt war, verfüge ich über genügend Klarheit für meine Entscheidungen. Dieses ‚Testing-Understanding’ oder ‚aktive Zuhören’ wird in ganz verschiedenen Ansätzen als hilfreich und weiterführend beschrieben.
Mit folgender Checkliste lässt sich das eigene Zuhören beleuchten und stärken:
- Lasse ich die Sprecherin, den Sprecher ausreden?
- Kann ich eine empathische Verbindung aufbauen und aufrecht erhalten, losgelöst von meiner eigenen Betroffenheit?
- Bleibe ich mit meinen Gedanken fokussiert und mit der Person und ihrem Anliegen verbunden?
- Wenn die Intensität hoch ist: Gebe ich mir selbst und meinem Gegenüber eine Pause von zwei Atemzügen, bevor ich das Wort ergreife?
- Frage ich bei Unklarheiten sofort nach und übernehme Verantwortung für mein Verständnis des Anliegens?
- Warte ich mit dem Zurechtlegen meiner Antwort, bis ich die Sicherheit habe, das Anliegen so gut als möglich verstanden zu haben?
Gelingt es durch ‚Aktives Zuhören’ die reflexartigen Reaktionsmuster zu unterbrechen, so stehen verschiedene Handlungsmöglichkeiten offen. Reinhold Dietrich[3] unterscheidet dabei folgende drei Kategorien:
- Aushalten: Wir können aus den aktuellen Umständen heraus erkennen, dass im Moment keine Klärung oder Veränderung möglich ist, und/oder unsere Ressourcen nicht ausreichend sind, und halten eine unangenehme Situation aus, bis sich der Moment für eine erfolgversprechende Intervention ergibt.
- Weichen: Wir bemerken, dass wir diese Situation auch mit grossem Einsatz nicht konstruktiv beeinflussen können und entscheiden uns rechtzeitig dafür, im Moment oder grundsätzlich andere Wege zu gehen, zu weichen.
- Gestalten / Klären: Wir entscheiden, bewusst gestaltend und klärend zu intervenieren.
Alle drei Optionen sind per se weder richtig noch falsch, haben Licht- und Schattenseiten, passen in der einen Situation oder Befindlichkeit, in einer anderen jedoch ganz und gar nicht. Und nicht immer stehen uns diese drei Möglichkeiten zur Verfügung; Gewohnheiten und Vorlieben verselbstständigen sich und führen zu einer Fokussierung.
Wählen wir den Weg der Gestaltung und Klärung, so schlägt Marshall B. Rosenberg[4], der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation (GFK), vor, im Zusammenhang mit Widerstand und Konflikten ‚Ärger’ und ‚Wut’ nicht als Gefühle zu identifizieren, sondern als klare Indikatoren dafür zu nehmen, dass grundlegende eigene Anliegen oder Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Damit eröffnet sich die Wahl zwischen dem Ergründen der unerfüllten Bedürfnisse in uns selbst oder in der auslösenden Person. Beides führt zu einer weiteren Verlangsamung und idealerweise zu einer verbindenden Kommunikation darüber, wer was braucht, um den nächsten Schritt konstruktiv anpacken zu können.
Als ausserordentlich hilfreiches Werkzeug hat sich in der Praxis eine Übersicht über die häufigsten Bedürfnisse im laminierten Scheckkarten-Format[5] erwiesen. Sich selbst oder anderen Zeit zu geben für eine Klärung, was im Moment nicht erfüllt ist, trägt zu Verbindung und Orientierung bei, und ist in sich selbst bereits eine erste deeskalierende Intervention.
Als ‚Favoriten’ zeigen sich in vertrauten Alltagssituationen Bedürfnisse nach dem Erkennen des Sinns hinter einem Auftrag, nach der Autonomie im Einsatz der eigenen Ressourcen, nach Verlässlichkeit und Kontinuität oder auch nach Empathie und Verständnis.
Wenn es auf dem einen oder anderen Weg gelingt, ‚Widerstand’ nicht persönlich zu nehmen, sondern als Einladung für eine weiterführende Beschäftigung mit dem, was jemand braucht um auf eine Kooperation einzugehen, dann bewegen wir uns auf einer unsichtbaren Brücke auf den anderen Menschen zu und ermöglichen eine stärkende Verbindung[7].
Als unabdingbare Voraussetzung dafür sieht Martin Buber, dass es ein bewusstes ‚Ich’ gibt, das diese Brücke betritt. Es ist also eine wichtige Voraussetzung, dass ich mich selbst wichtig genug nehme und mir Klarheit verschaffe, was ich im Moment brauche, um konstruktiv und kooperativ weiterschreiten zu können. Gelingt es, die Anliegen aller beteiligten Personen sichtbar zu machen und ohne Wertung anzuerkennen, öffnet sich ein gemeinsamer Gestaltungsraum, der es auch zulassen kann, dass nicht alle Bedürfnisse in gleicher Art oder zur gleichen Zeit berücksichtigt werden.
Die Lösungsorientierung[8] bietet für brückenbauende Lehrpersonen und Schulleitende hilfreiche ‚Fragepfeiler’, die es erleichtern können, auch im turbulenten Alltag der Verbindung mit sich selbst und den anderen Sorge zu tragen:
- Wodurch fordert dich diese Aufgabe, wodurch bringt sie dich weiter?
- Was brauchst du, um das Ziel zu erreichen?
- Welche Kompetenzen sind dabei gefragt?
- Was ist leicht, was erscheint schwierig?
- Was ist dein persönlicher Gewinn, was ist der Preis?
- Wo reihst du das Ziel auf einer Prioritäten-Skala von 0 bis 10 ein?
- Welche Alternativen, diese Aufgabe zu erfüllen, siehst du?
- Wer alles ist vom Erfolg/Nicht-Erfolg der Zielerreichung betroffen?
- Was könntest du tun, um ganz sicher zu scheitern?
- Angenommen, du hättest 100% freie Hand, was würdest du tun?
Die beschriebenen Optionen und Fragen lassen sich gut bei jeder nächsten Gelegenheit ausprobieren – sie brauchen sicher etwas Mut und Bereitschaft, vorläufige ‚Wirkungslosigkeit’ als Bestärkung für weitere Entdeckungsreisen und Brückenbauten zu nehmen. Und vielleicht beginnt man sich ja insgeheim schon fast ein wenig zu freuen auf die nächste Trainingsgelegenheit…
Armin Sieber